Nitzschka im "Album der Rittergüter"

Wo "Wässerchen" gebrannt wurden

Großformatig erschien Mitte des vorigen Jahrhunderts ein Album in zwei Teilen und bildete alle Rittergüter des Leipziger Kreises aus der vorteilhaftesten Ansicht ab. Dazu wurden das modernste grafische Druckverfahren gewählt - die Lithographie. Zu allen Rittergütern gibt es einen informativen, historischen Kommentar, fast immer der Grafik gegenüber gelegen.
Hintergründiges
Was stärkte die Rittergüter zu dieser Zeit? In Folge der mit 1832 beginnenden sächsischen Agrarreformen wurden die Bauern bis 1859 von allen feudalen Fesseln befreit und zu individuell wirtschaftenden, selbständigen Mittel- und Kleinbauern. Die Ablösungssummen an die feudalen Obrigkeiten schoß der Staat vor. In 55 Jahren sollten alle Hypotheken an die „Landrentenbank" zurückgezahlt sein.
Mit den plötzlich zur Verfügung stehenden Mitteln konnten die Rittergüter im Sinne einer agrarkapitalistischen Wirtschaft allseitig saniert oder erweitert werden. Eine seit langem bestehende Spezialisierung der Rittergüter wurde damit verstärkt und modernisiert, neue Erwerbsmöglichkeiten erschlossen. Dazu gehörte in fast allen Fällen das Nutzen lange bestehender Brennrechte. Zwar wurde seit langem ein Teil des Getreides als Branntwein „verflüssigt und veredelt", die Möglichkeit Kartoffelschnaps zu brennen, wurde von da an verstärkt genutzt. Bis 1945 brannte jedes Rittergut, staatlich konzessioniert und überwacht, bestimmte Mengen hochprozentiger, reiner „Wässerchen".
Der Feuergefahr wie der Sicherheit halber, lagen die Brennereien oder Brennhäuser immer in einzelnen Gebäuden. Die massiven Häuser waren mit festen Türen versehen, die der Brennmeister des Rittergutes sorgfältig verschloß. Darin lagerte in plombierten Fässern das „kostbare Naß". In den turbulenten Wochen nach Kriegsende erbrachen und plünderten sie die Besatzer. Alle Rittergutsbrennereien sind heute verschwunden - bis auf die Canitzer Brennereiesse. Nahe Riesa existiert immer noch eine funktionsfähige Destille. Es läge sehr nahe, örtlich wieder Spezialitäten zu brennen - schon um die Ernte von den „Streuobstwiesen" endlich sinnvoll auch zu nutzen.
Konkretes
Am rechten, hohen Ufer der Mulde lag der hohe Baukörper des. Nitzschkaer Rittergutes mit seinem komplizierten Grundriß. Simse zwischen den drei Geschossen und senkrecht gliedernde „Lisenen" prägten die Fassade des Herrenhauses. Es gehörte jahrhundertelang den Herren von Minckwitz. Sie zählten zum alten Adel der Mark Meißen und übten wiederholt hohe Ämter im Dienste der Landesherrschaft aus. Mit zwei Gütern in den Dörfern Ober- und Unternitzschka war ihre Herrschaft nicht zu umschreiben. Ein Hans von Minckwitz war Bauherr der Freiflügelanlage des Trebsener Schlosses. Erhalten vom ganzen feudalen Machtkomplex ist heute nur noch die Kirche mit dem Turm von 1745 und das anspruchvolle Grabmal des knieenden W. v. Minckwitz mit seiner Frau (1585). Dargestellt ist im „Album der Rittergüter" auch das Brennhaus. Ein hoher, viereckiger Schornstein mit einer Rauchfahne lehnt am niedrigen Brennhaus. Es wurde rechts neben einem barocken Wohnhaus mit einem niedrigen Satteldach abgebildet. Ein Aufsatz auf dem Dach diente als Luftkühler, damit sich die Dämpfe besser kondensieren konnten. Eine Parkkulisse gehört zur Anlage hinzu. Im Vordergrund ist auch die Fähre dargestellt. Es gibt eine Bleistiftzeichnung der Fähre im Göschenhaus Hohnstädt -dort ist sie mit dem Fährseil dargestellt. Der große Wanderer Seume ließ sich zu Besuchen nach Nitzschka übersetzen. Ihn verband eine Freundschaft mit der damaligen Nitzschkaer Herrschaft. Der Wurzener Dichter August Mahlmann war seit 1814 bürgerlicher Besitzer des Rittergutes. Den Grund, warum nur die Nitzschkaer Brennerei unter den vielen Bildern der Rittergüter dargestellt wurde, werden wir nie erfahren.       R.P.